Artensterben bedroht Lebensgrundlage des Menschen
Wenn wir uns heute mit dem Thema Artensterben beschäftigen, dann geht es nicht etwa um die Folgen eines Vulkanausbruches unvorstellbaren Ausmaßes oder um einen Meteoriteneinschlag, der ganze Kontinente verwüstet. Nein, heute sind wir mit einem massenhaften Aussterben von Tieren und Pflanzen auf der Erde konfrontiert, das nicht auf ein einzelnes Ereignis apokalyptischen Ausmaßes zurückzuführen ist.
Für das gegenwärtig beobachtete Artensterben ist mit hoher Wahrscheinlichkeit der Mensch direkt wie auch indirekt verantwortlich. Er trägt mit seinem häufig rücksichtslosen Handeln zur Zerstörung der Lebensgrundlagen von Tieren und Pflanzen bei, um damit letztendlich auch die eigenen Lebensräume zu zerstören. So gefährdet er mit seinen Handlungen in einem schleichenden Prozess zunehmend pflanzliches, tierisches und selbst sein eigenes menschliches Leben auf der Erde, wie es in der bisherigen Erdgeschichte nur durch gewaltige Katastrophen vorstellbar war.
Nicht nur Insekten sind vom Artensterben betroffen
Der aktuelle UNO-Bericht zu Artenvielfalt und Massensterben tierischen Lebens zeigt neben dem Insektensterben auch dramatische Entwicklungen bei Wirbeltieren. So hat in den letzten Jahrzehnten die Wahrscheinlichkeit dramatisch zugenommen, dass ein Fisch, ein Frosch, eine Echse, ein Vogel oder ein Säugetier aussterben wird. Lag das Risiko auszusterben nach Angaben der UNO noch zu Beginn des letzten Jahrhunderts bei 0.1 bis 2 Aussterbeereignissen pro Million Arten und Jahr, so liegt sie heute um den Faktor 10 bis 100 höher.
Nach Berechnungen einer mexikanisch US-amerikanischen Forschergruppe stehen mehr als 500 Landwirbeltierarten kurz vor dem Aussterben. Und das ist nur die Spitze des Eisberges, sind doch in der Statistik die vielen bedrohten Meeresbewohner und Insekten noch nicht einmal berücksichtigt. Von Pflanzen gar nicht zu reden. Das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten ist fast immer als ein Symptom für Veränderungen in der Umwelt der Lebewesen zu deuten, wenn man einmal von der Auslöschung mancher Tierarten durch übermäßige Bejagung absieht. Besonders deutlich sind die gegenseitigen Wechselwirkungen beim Insektensterben, insbesondere dem Bienensterben zu beobachten. So gibt es für den zu beobachtenden Rückgang von Insekten nicht einen einzelnen Grund, sondern mehrere, die alle menschengemacht sind. Dazu zählen der Einsatz von Insektiziden, Monokulturen, Überdüngung, versiegelte Böden, auch in Privatgärten, die Lichtverschmutzung und der Klimawandel, um nur die wichtigsten Faktoren zu nennen. Welche dramatischen Folgen das Aussterben der Bienen für den Menschen haben würde, liegt auf der Hand.
Etwa 35% der von Bienen und anderen bestäubenden Insekten abhängigen weltweiten Lebensmittelproduktion wären gefährdet. So würde nicht nur die weltweite Hungerkrise verschärft werden, auch die Nahrungsmittelpreise würden dramatisch steigen und die Versorgung mit Vitaminen wäre für breite Bevölkerungskreise nicht mehr sichergestellt. Nach Berechnungen amerikanischer Wissenschaftler der Harvard-Universität in Boston würde das Aussterben der Bienen und anderer Bestäubungsinsekten bis zu 1,5 Millionen zusätzliche Todesfälle pro Jahr verursachen.
Labile Ökosysteme sind vom Untergang bedroht
Das Aussterben von Bestäubungsinsekten ist für die Ernährungsgrundlagen der Menschen dramatisch, bedeutet jedoch nicht, dass es im negativen Sinne nicht noch getoppt werden kann. Wenn ganze Ökosysteme leiden und langsam unter gehen, kann das an die Substanz menschlichen Lebens in einigen Regionen der Erde gehen. Das gilt nicht nur für das weltweit bekannteste marine Ökosystem, das Great Barrier Reef. Es gilt in besonderem Maße für einige Mangrovenwälder, die in dieser Hinsicht in den letzten Jahrzehnten traurige Rekorde erzielt haben. Seit den 1980ger Jahren sind etwa ein Drittel der weltweiten Mangrovenwälder verschwunden, teils als Folge des Klimawandels, aber auch um Platz zu schaffen für marine Aquakulturen, Sojafelder und Palmölplantagen. Das bleibt nicht ohne Folgen für die Menschheit. Mit den Mangroven fällt nicht nur einer der wichtigsten CO2 Speicher weg, was den Klimawandel weiter anheizt, es wird zusätzlich die Kinderstube und der Lebensraum von mehreren Tausend Fischarten und Krustentieren zerstört, die Nahrungsquelle und Existenzgrundlage großer Teile der lokalen Bevölkerung sind. In ihrer Not greift die lokale Bevölkerung häufig auf Fleisch von Wildtieren zurück und geht damit das Risiko ein, Viren und anderen Krankheitserregern die Tür zum Menschen zu öffnen. Damit nicht genug. Die Mangrovenwälder sind ein wichtiger Faktor im natürlichen Küstenschutz. Fallen sie aus, drohen ganze Küstenregionen samt ihren fruchtbaren Böden im Meer zu versinken. Nach Berechnungen von Wissenschaftlern könnte das bis zu 20 Millionen Menschen den Lebensraum nehmen.
Das Artensterben fördert Seuchen
Selbst Seuchen wie die Corona-Pandemie und ihre Vorgänger SARS, MERS und andere Zoonosen haben etwas mit dem Artensterben zu tun, auch wenn die Zusammenhänge sich nicht immer direkt erschließen und noch im Detail erforscht werden müssen. So wies kürzlich eine Forschergruppe aus Kalifornien nach, dass Umweltveränderungen, Artensterben und Infektionskrankheiten zueinander in Zusammenhang stehen. Sie konnten nachweisen, dass vom Aussterben bedrohte Tiere häufiger Virusüberträger sind wie andere nicht gefährdete Tiere. Warum das so ist, muss noch genauer untersucht werden. Es könnte sein, so vermuten die Wissenschaftler, dass bedrohte Tierarten in immer kleiner werdenden Lebensräumen zunehmend mit dem Menschen in Kontakt kommen und so Viren die Gelegenheit geben, leichter auf den Menschen überzuspringen. Noch größer ist die Chance der Viren Artengrenzen zu überspringen, wenn der Mensch mit Wildtieren Handel treibt oder auf engem Raum mit ihnen zusammenlebt.
Fazit: Die großen Herausforderungen der Menschheit in den nächsten Jahren können klar definiert werden. Es sind der Kampf gegen den Klimawandel, das Artensterben und die Gefahren neuer Krankheitserreger. Alle drei Mega-Herausforderungen hängen zusammen und können nachhaltig nur gemeinsam durch visionäres entschlossenes Handeln zufriedenstellend gelöst werden. Es ist zu hoffen, dass die Einsicht in die Notwendigkeit zum Handeln immer stärker ist als populistische Ignoranz.