Lebenswichtige Antibiotika in der Tiermast
Es drohen Gesundheitsgefahren durch Multiresistenzen
Was hat Billigfleisch mit Antibiotika und Multiresistenzen zu tun? Nichts, so scheint es auf den ersten Blick. Doch weit gefehlt. Der Einsatz von Antibiotika ist nicht nur auf die Behandlung von Infektionen beim Menschen beschränkt, er erfolgt auch in der Massentierhaltung und das lange Zeit nicht nur um Infektionen unter den Tieren zu bekämpfen. Antibiotika wurden in der Massentierhaltung weit entfernt jeder medizinischen Indikation auch als Leistungsförderer eingesetzt, die eine schnellere Gewichtszunahme der Tiere —Schweine, Rinder, Kälber, Hühner, Puten – bewirken sollten. Dieser Missbrauch hochwirksamer Arzneimittel ist in der EU seit etwa 10 Jahren verboten. Trotzdem kommen in großen Mastbetrieben auch heute noch viele Antibiotika zum Einsatz, auch solche, die als sogenannte Reserveantibiotika für schwer zu behandelnde Fälle dem Menschen vorbehalten bleiben müssten. Und das alles nur, um möglichst effizient, also billig, Fleisch produzieren zu können. Ist es das wert, für billiges Fleisch eine der wichtigsten Waffen im Kampf gegen bakterielle Infektionen zu vernichten?
Human- Antibiotika werden in der Tiermast breit eingesetzt
Obwohl heute in der EU keine Antibiotika mehr prophylaktisch oder zur Leistungsförderung in der Tiermast eingesetzt werden dürfen, ist der Verbrauch von Antibiotika in der Landwirtschaft immer noch viel zu hoch. Das liegt daran, dass auch der therapeutische Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung letztendlich für die meisten Tiere eine prophylaktische Antibiotika-Gabe bedeutet. Auf einer Geflügelfarm mit hohem Tierbestand auf begrenzter Fläche ist es gar nicht möglich, einzelne erkrankte Tiere zu behandeln. Auch wenn einzelne oder nur wenige Tiere des Bestandes erkrankt sind, wird aus ökonomischen Gründen immer gleich der ganze Tierbestand mit einem Antibiotikum behandelt. Diese als „Metaphylaxe“ bezeichnete spezielle Form der gemischt therapeutischen und prophylaktischen Anwendung von Antibiotika in der Veterinärmedizin erfolgt in der Regel über spezielle Fütterungsarzneimittel oder das Trinkwasser der Tiere. Die Liste der für die Veterinärmedizin zugelassenen Antibiotika umfasst eine Reihe von Antibiotika, die auch für den Menschen von Bedeutung sind und in der Humanmedizin häufig eingesetzt werden. Dazu gehören Penicilline wie Amoxicillin und Ampicillin, Makrolide wie Erythromycin, Aminoglycoside wie Neomycin, Tetracycline und Cotrimoxacol. Selbst das für den Menschen so wichtige Reserveantibiotikum Colistin fehlt nicht auf der Liste. Auch Chinolon-Antibiotika werden in der Tiermast eingesetzt. Zwar keine Substanzen, die in der Humanmedizin Anwendung finden, aber nahe Verwandte aus der gleichen Stoffgruppe. So können Kreuzresistenzen zwischen einzelnen Chinolon-Antibiotika auch die für den Menschen so wichtigen Chinolone Ciprofloxacin, Levofloxacin oder Moxifloxacin treffen, wie aktuelle Funde auf Hühnerfleisch zeigen.
Multiresistenzen aus der Tiermast gefährden medizinischen Fortschritt
Lebensmittelkontrolleure finden in ihren Proben regelmäßig Antibiotika-resistente Keime, die auf den Einsatz von Antibiotika in der Tiermast zurückgehen. Erst kürzlich wieder auf Hühnerfleisch. Europaweit bei Discountern gekaufte Hühnerteile waren hochgradig mit resistenten Keimen belastet. Etwa jede zweite Probe enthielt resistente Keime und auf jeder dritten ließen sich Keime nachweisen, die gegen essenzielle Reserveantibiotika resistent waren. Auch die gefürchteten MRSA wurden in den Proben entdeckt. Wenn diese Keime durch Verarbeitung oder Verzehr kontaminierten Hühnerfleisches auf den Menschen übertragen werden, kann es bei abwehrgeschwächten Menschen zu schwer behandelbaren Infektionen kommen. Selbst Menschen, die nicht erkranken können die Erreger weiterverbreiten. So kann die Nachfrage nach billigem
Fleisch durch die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen zu einem ernsthaften medizinischen Problem führen, wie das Beispiel der berühmten MRSA verdeutlicht.
Antibiotika in der Tiermast: Gesundheitsgefahr durch MRSA
MRSA — das Akronym steht für Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus — sind genetische Varianten von solchen Staphylokokken, die als Hautkeime viele Menschen besiedeln, ohne sie krank zu machen. Anders MRSA, der zusammen mit der Resistenz gegen das Penicillin-Antibiotikum Methicillin auch die Fähigkeit erworben hat, Sepsis und schwerwiegende Infektionen der Haut, von Wunden oder einzelner Organe zu verursachen. MRSA ist für den Menschen so gefährlich, da die Resistenz nicht auf Methicillin begrenzt bleibt, sondern praktisch alle gebräuchlichen Antibiotika miteinschließt. Dazu gehören alle Penicilline und Cephalosporine sowie weitere Antibiotika aus den Gruppen der Chinolone, Makrolide, Lincosamide, Aminoglykoside und Tetracycline. Dieses breite Resistenzmuster macht den Erreger schwer behandelbar und lebensgefährlich. Erstmals nachgewiesen wurde MRSA in den 1 960ger Jahren. Danach breitete sich der Keim kontinuierlich aus und wurde ein Problem in Krankenhäusern, das mit aufwendigen Hygienemaßnahmen bekämpft werden musste. Heute gelingt es durch kontinuierliche Screening Maßnahmen MRSA weitestgehend unter Kontrolle zu halten. Es besteht aber die Gefahr, dass neue Infektionsschübe durch kontaminiertes Fleisch ausgelöst werden und bisherige Erfolge bei der Bekämpfung von MRSA gefährden.
Problemlösung durch Änderungen im Verbraucherverhalten und der Tierhaltung
Wir Menschen haben sicher keinen Rechtsanspruch auf billiges Fleisch, das nur mit potenziellen Risiken für die menschliche Gesundheit und zu Lasten des Tierwohls erzeugt werden kann. Der unverantwortlich hohe Antibiotika-Einsatz in der Tiermast ist eine direkte Konsequenz aus den Haltungsbedingungen, die den Tieren zu wenig Platz lassen. Dadurch können sich Infektionen schnell auf den gesamten Bestand im Stall ausbreiten. Deshalb wird auch gleich der gesamte Tierbestand mit Antibiotika behandelt, obwohl nur einzelne Tiere erkrankt sind. Weniger Tiere auf mehr Fläche im Stall senken das Infektionsrisiko und zwangsläufig auch den Verbrauch von Antibiotika. Weniger Antibiotika bedeuten weniger Multiresistenzen und geringere Gesundheitsrisiken für die Menschen, nicht nur für Fleischliebhaber. Dieses Ziel kann erreicht werden, wenn
- Nationale und europäische Gesetzgeber Rahmenbedingungen schaffen, die es Landwirten ermöglichen, Tierwohl bei der Fleischerzeugung stärker zu beachten. Tierwohl und Wirtschaftlichkeit darf kein Widerspruch sein.
- Landwirte die höheren Erzeugerpreise dazu nutzen, den Tieren mehr Fläche zu bieten, um so Infektionsraten zu senken und weniger Antibiotika einsetzen zu müssen.
- Verbraucher einen höheren Preis für tierische Nahrungsmittel akzeptieren, wenn diese unter Beachtung von Tierwohl erzeugt werden.